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Hinübergehen - Projekt zur Sterbens- und Trauerkultur

Aschaffenburg: „Eine Stadt probt den Aufstand gegen das Verdrängen von Sterben und Tod“, so kommentierte Professor Reiner Sörries das Projekt „Hinübergehen“, zu dem sich in Aschaffenburg die Stadtverwaltung, die christlichen Kirchen und die Volkshochschule zusammengeschlossen haben. Ein Reigen von 24 Veranstaltungen beschäftigt sich den ganzen November über aus verschiedenen Blickwinkeln mit der heutigen Sterbens- und Trauerkultur.

Darunter sind Vorträge, Führungen auf Friedhöfen, Gottesdienste, Musikveranstaltungen und sogar Kabarett- und Kinoaufführungen. Und Oberbürgermeister Klaus Herzog kündigte in seinem Grußwort schon an, dass die Reihe auf Grund der Vielfältigkeit des Themas im nächsten Jahr fortgesetzt wird.

Seit Mitte der 80igern lässt sich eine Veränderung der Trauerkultur in Deutschland feststellen, erläuterte Sörries, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft „Friedhof und Denkmal“ in Kassel bei seinem Eröffnungsreferat vor 150 Zuhörern im Martinushaus. Damals fasste die Hospizbewegung auch hierzulande langsam Fuß, in Kassel wurde das Museum für Sepulkralkultur gegründet, das einzige Museum in Deutschland, dass sich mit der Sterbekultur auseinandersetzt. Zudem machten die zum Beispiel mit Luftballons und Prosecco am Grab oft gegen alle Traditionen gestalteten Beerdigungen von Aidstoden von sich reden. Die Menschen begannen, die Unfähigkeit über den Tod zu reden, als Mangel wahrzunehmen.
Für Sörries ist unsere Gesellschaft allerdings seit dem nicht viel weiter gekommen. Zwar berichten die Medien gerne und ausführlich über neue Trends wie die Weltraumbestattung, die Urne im Wohnzimmer, der aus den Überresten des Verstorbenen gepresste Diamant als Ring am Finger oder die anonym verstreute Asche auf Friedwäldern. Doch das sind nach seiner Einschätzung bislang Ausnahmeerscheinungen, die auf Grund ihrer Merkwürdigkeit den Weg in die Presse findet. Im privaten Bereich würde dafür immer noch viel zu wenig über das Thema Tod geredet. Der Grad der Uninformiertheit über die immer vielfältiger werdenden Möglichkeiten der Bestattung sei genauso hoch wie die Unkenntnis über die Wünsche der Verstorbenen bezüglich ihrer Bestattung beziehungsweise die Wünsche der Hinterbliebenen nach Möglichkeiten des Abschiednehmens.

Sorries, der auch evangelischer Theologe und Pfarrer ist, merkte an, das Vielfach die alten Symbole nicht mehr verstanden oder umgedeutet werden. So ist zum Beispiel aus dem Erdwurf am Grab ein Blumenwurf geworden. Während aber die Erde das Trennende zwischen der Welt der Lebenden und der Toten betont und damit im Trauerprozess den wichtige Schritt der Realisierung des Todes unterstützt, unterstreichen Blumen mehr die liebevolle Beziehung zum Verstorbenen und machen damit den endgültigen Abschied eher schwerer. Auch aus dem sprichwörtlichen Sargnagel, der etwas Endgültiges symbolisiert, ist inzwischen eine Schraube geworden, die man geräuschlos zu- aber eben auch wieder aufdrehen kann. Der Schmerz des Abschiedes soll so klein wie möglich gehalten werden – für Sörries ein Fehler in der Ritualkultur.

Der Aschaffenburger Bildhauer Helmut Hirte spricht sogar vom langsamen verschwinden der Erinnerungskultur: „Man nimmt in den drei Tagen vom Tod bis zur Bestattung eigentlich keinen Abschied mehr, sondern ist beschäftigt mit Gängen zur Verwaltung, zur Pietät, zum Friedhof“. Dies empfindet er als besonders Tragisch, weil diese wichtige Zeit für die Trauerarbeit unwiederholbar ist. Für ihn ist das Gespräch mit Angehörigen, die ein Grabmal wollen, ganz wichtig – was nicht selbstverständlich ist in Zeiten, in denen man den Stein auch aus dem Katalog auszusuchen kann. „Für mich ist das ein Teil der Trauerarbeit. Ein Grabmal muss in der Lage sein, der Erinnerung Platz zugeben, ohne den Schmerz auf ewig festzuhalten“, sagt er und räumt ein, dass auch ein wenig Mut dazu gehört, aus der Reihe der Normgrabsteine mit etwas Besonderem auszubrechen. Gemeinsam mit anderen Bildhauern hat er einige ungewöhnliche Exemplare im Rahmen des Projekt „Hinübergehen“ in Foyer des Martinushauses ausgestellt. Dort sind sie bis Ende November zu besichtigen.
Den Trend zur anonymen Bestattung ohne Grabstätte sieht Hirte oft nur als Wunsch, sich selbst zu entsorgen um für die Hinterbliebenen keine Last zu sein. Ob die Hinterblieben das genauso sehen, wird oft gar nicht vorher besprochen. Die Friedhofsverwaltungen müssten seiner Meinung nach auch flexibler auf die Wünsche der Verstorbenen und deren Angehörige eingehen. „Der Friedhof muss Platz lassen für die Sehnsüchte der Menschen“, findet er und meint damit, dass zum Beispiel auch der Wunsch, unter einem Baum begraben zu sein, seine Berechtigung hat.

„Irrtümer beseitigen, Unkenntnis ausmerzen“, das ist die zusammenfassende Forderung von Professor Sörries angesichts der Situation. Die Bestattungskultur sei in den letzten 20 Jahren vielfältiger, differenzierter und persönlicher geworden. In Zukunft muss aber auch die Frage angegangen werden, wie wir mit den Trauernden umgehen. Hier beschreibt er die Aufgabe kurz mit „dranbleiben und aushalten“.


Weitere Veranstaltungen im Rahmen des Projektes:

Sonntag, 13.11., 11.30 Uhr, Casino-Kino, Aschaffenburg
„Mein Leben ohne mich“, Film und Gespräch

Donnerstag, 17.11., 20.00 Uhr, Hofgarten Aschaffenburg
Plötzlich und Unerwartet Kabarett von Inga und Rita

Sonntag, 20.11., 14.00 Uhr, Waldfriedhof Aschaffenburg:
Ökumenischer Gottesdienst, anschließend Begegnung im Raum der Stille

Sonntag, 20.11., 14.00 Uhr, Altstadtfriedhof Aschaffenburg:
Steine erzählen Geschichten, Führung

Dienstag, 22.11., 19.30 Uhr, Martinushaus Aschaffenburg:
Himmel – Erde – Unterwelt, Jenseitvorstellungen im Alten Ägypten